Gegenwartsliteratur
Andreas Fischer
Die Königin von Troisdorf
Andreas Fischer hat einen längst überfälligen Roman geschrieben, der mehr als ein "Kriegsenkelroman" ist: "Die Königin von Troisdorf. Wie der Endsieg ausblieb".
Bereits der erste Blick auf das Titelbild des Buches weckte ambivalente Empfindungen. Einerseits lag Vertrautes in dem Foto, andererseits stieß es mich ab. Vertraut die Farbanmutung, die Art und Weise, Kinder und Erwachsene hinzustellen, steif und ernst, dann die Kleidung und der Haarschnitt des Jungen, zudem der Blick der Oma. So wie sie steht und auf den Jungen schaut, erinnert sie mich an die Strenge und Verächtlichkeit der Erwachsenen gegenüber den Kindern in den sechziger und siebziger Jahren, zudem an die trostlose Langeweile, die von ihnen ausging, das Befremden, mit dem sie mich abstießen. Das Foto nimmt als Titelbild symbiotisch vorweg, was der Roman erzählen wird.
Emmanuelle Bayamack-Tam
Arkadien
Mutig, gewagt, am Puls der Zeit. Ein sprachmächtiger Roman über ein 14jähriges Mädchen, das in einer extrem esoterischen und konsumkritischen Sekte lebt. Sie fragt sich, ob ihr Geschlecht undefinierbar bleiben wird. Sie fühlt sich "Queer", was ihre Lust auf Sex und ihr Sehnen nach Liebe nicht entgegensteht, das beschreibt der Roman sowohl in einfühlsamer wie auch in ironischer Weise. Und Bayamack-Tam schildert ohne Rücksicht auf rigide Mainstream-Erwartungen sexuelle Freizügigkeiten, die bewusst bis zur Grenze des Aushaltbaren getrieben werden, während die Welt ausserhalb der Sekte die Perversion der Entfremdung feiert und Anderssein sanktioniert und verachtet. Dass der Roman auch kulinarisch auf der Höhe der Zeit ist, dazu passt das sprachliche Festmahl mit den fein und herb und scharf gewürzten Sätzen. Nach der unterhaltsamen Lektüre, bei der ich oft gelacht habe, wurde mir einmal mehr bewusst: Was dir die Welt auch abverlangt, mit Humor wird vieles leichter, selbst das Anderssein. — Arkadien beim Secession Verlag.
10. März 2021 ° Rubrik Gegenwartsliteratur ° Direktlink
Ulla Lenze
Der Empfänger
In einer Rezension über den Roman Der Empfänger von Ulla Lenze las ich, dass die Hauptfigur ein rückgratloser "Nazi-Mitläufers" sei. Und obwohl mich das zuerst abschreckte, bestellte ich mir das Buch bei dem Buchhändler meines Vertrauens und bereute das nicht.
Sara Mesa
Quasi
Die spanische Schriftstellerin Sara Mesa erzählt in dem Kurzroman Quasi die Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung. Ihre treibende, helle und ohne Umschweife erzählende Sprache zog mich gleich auf den ersten Seiten in ihren Bann. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die auf dem ersten Blick ungleicher nicht sein können und die aus dem Befremden ins Vertrauen gehen.
Monika Helfer
Die Bagage
Da ist dieser besondere Ton von Monika Helfer, der sich grundgütig und mit umkreisender, behutsamer Distanz seinen Figuren nähert.
Lutz Seiler
Stern 111
Zufällig hörte ich im Auto auf WDR 5 ein Interview mit Lutz Seiler. Der Interviewer stellte manche oberflächliche Frage über den Roman Stern 111 und Lutz Seilers souveräne Antworten machten mich neugierig auf das Buch.
Abbas Khider
Palast der Miserablen
Selten hing mir ein Roman auch mehrere Tage nach dem Lesen so nach wie Palast der Miserablen von Abbas Khider. Als hätte ich eine Familie aus einem fernen Land kennengelernt, die mir ans Herz gewachsen und für immer zu verlassen sei. So fühlte sich das nach dem Lesen an. Dieser außergewöhnliche Roman hat mich sehr berührt, sehr unterhalten und sehr nachdenklich gemacht.
Philippe Besson
Hör auf zu lügen
Beim Stöbern in einer Buchhandlung zog ich das Buch aus dem Regal und las die erste Seite. Dann las ich sie noch einmal leise mir selbst vor, um zu hören, ob es wirklich ein so wunderbarer Rhythmus ist.
Pedro Mairal
Auf der anderen Seite des Flusses
Ich vermute, dass es nicht sehr viele Schriftsteller gibt, die eine Misere glaubwürdig, humorvoll und spannend zugleich schildern können. Pedro Mairal aus Argentinien kann das.
Leïla Slimani
All das zu verlieren
Was ist das, was uns, obwohl wir scheinbar alles haben, so unzufrieden macht? Woher kommt die Leere, die mit keinem Konsumgut, keinem Geld, keiner Macht und keiner Selbstoptimierung zu füllen ist?
Leïla Slimani
Dann schlaf auch du
Seit geraumer Zeit bin ich süchtig nach französischer Belletristik. Nach und nach lese ich die Gewinner des Prix Goncourt. So kam ich auf den kurzen Roman Dann schlaf auch du von Leïla Slimani.
Sorj Chalandon
Mein fremder Vater
Nachdem ich den Roman Am Tag davor von Sorj Chalandon gelesen hatte und aus der Begeisterung gar nicht mehr herauskam, war ich gespannt auf sein vorheriges Buch, das 2017 bei DTV erschienen ist. Ein Roman, der mich getroffen und gefordert hat.